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Krisenfeste Supply Chain: Ist Regionalisierung die Lösung?

von Claus

Eingeschränkte Transportkapazitäten, Lieferengpässe, Produktionsunterbrechungen: Die pandemiebedingten Einschränkungen internationaler Lieferketten stellten Unternehmen in den vergangenen Monaten vor diverse Herausforderungen. Ein viel diskutierter Lösungsansatz ist die Rückbesinnung auf lokale Beschaffungsmärkte. Wir diskutieren die Praxistauglichkeit dieses Ansatzes.

Die Pandemie hat die Abhängigkeiten globaler Lieferketten aufgezeigt. Schnell wurde der Ruf zur Rückbesinnung auf lokale Kapazitäten laut, es wurde gar das Ende der Globalisierung propagiert. Doch ist das ein realistisches Szenario? Können lokale Beschaffungsmärkte die Vorteile einer globalisierten Wirtschaft kompensieren? Oder sollten Unternehmen nicht vielmehr prüfen, wie sie ihre Lieferkette grundsätzlich krisenfest und resilient gestalten?

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Status Quo: Risikobewusstsein wächst

Kurz vor dem Ausbruch des Covid-19-Virus konstatierte das 11. Hermes-Barometer zum Thema „Risikoprävention in der Supply Chain“, dass lediglich 39 Prozent der Unternehmen einen ganzheitlichen Risikomanagement-Ansatz für ihre Lieferkette verfolgen – bei steigender Gefährdungslage. Denn bereits Ende 2019 ging jedes zweite der 200 befragten deutschen Unternehmen davon aus, dass das eigene Beschaffungsmanagement in Zukunft eine deutliche Verschärfung des Risikoumfeldes verzeichnen wird.

tobias ruscheweyh
Tobias Ruscheweyh, Head of Branch bei Hermes International.

Nur wenige Monate später dominierte die Pandemie weltweit alle wirtschaftlichen Prozesse. „Die Virus-Krise hat starken Einfluss auf den internationalen Warenverkehr genommen und die Risiken, die mit einer globalen Strategie einhergehen aufgezeigt“, sagt Tobias Ruscheweyh, Head of Branch bei Hermes International. Das bestätigt auch eine jüngst erschienene Studie des IT-Anbieters Orange Business Services. Demnach gaben 40 Prozent der befragten Führungskräfte an, dass ihre Lieferketten den Belastungen der Pandemie nicht standhalten konnte und die Wahrnehmung von Risiken sich in der Folge für acht von zehn der Befragten verändert hat.

Lieferkettenstrategie anpassen

Aber geht mit dem gewachsenen Risikobewusstsein eine große Neustrukturierung der Lieferketten einher? Laut einer aktuellen Studie der Londoner Unternehmensberatung Alvarez & Marsal (A&M) hinterfragen rund 21 der 30 größten europäischen Einzelhändler aktuell ihre Lieferkettenstrategie. Laut A&M haben 55 Prozent der Befragten ihre Lieferkette bereits diversifiziert, 29 Prozent planen dies innerhalb der nächsten zwölf Monate. Darüber hinaus haben 14 Prozent der Händler bereits Teile ihrer Produktionen ins Inland verlegt.

Die Diversifizierung inklusive der Einbindung lokaler oder regionaler Partner kann für Unternehmen ein erster Schritt sein, um das Bestandsmanagement auf eine breitere Basis zu stellen. Sie deckt jedoch nicht alle Risiken einer globalen Supply Chain mit ihren vielen Akteuren und Risikofeldern ab. „Einzelmaßnahmen ersetzen kein strategisches SCRM“, sagt auch Ruscheweyh. Weitaus wichtiger sei es, dass Unternehmen sämtliche Risikofelder ihrer Supply Chain kennen und entsprechende Gegenmaßnahmen definieren.

Nachhaltigkeit in der Lieferkette als Wettbewerbsfaktor

Neben der Risikominimierung gibt es jedoch einen weiteren Grund, um verstärkt auf lokale Beschaffungsmärkte sowie Produktionsstätten zu setzen: Der Ruf nach mehr Nachhaltigkeit.

Auch wenn das Thema infolge der krisenbedingten Herausforderungen an Sichtbarkeit verloren hat, fordern Gesetzgeber und Verbraucher zunehmend nachhaltigere Prozesse. Eine höhere Transparenz der Lieferketten, die Unterstützung „grüner“ Produktionsstätten oder die Verkürzung der Transportwege durch den Einkauf auf geographisch näher gelegenen Märkten, können vor diesem Hintergrund durchaus zielführend sein.

Die Mehrheit der Unternehmen hat die Relevanz nachhaltigen Wirtschaftens für den langfristigen Unternehmenserfolg erkannt: Im Rahmen des 12. Hermes-Barometers „Nachhaltigkeit im Supply Chain Management“ stimmten 59 Prozent der befragten 200 Logistikentscheider der Aussage zu, dass Unternehmen für eine dauerhafte Sicherung der Wettbewerbsfähigkeit ökologische und soziale Kriterien in ihre Zielsysteme integrieren und in ihre Entscheidungen einbeziehen müssen.

Lösung: Zusammenspiel von SCRM und „Glokalisierung“

Die gesamte Lieferkette wieder auf lokale oder regionale Märkte zu stützen – sei es im Hinblick auf die Beschaffung oder die Produktion – wird von Experten jedoch als wenig zielführend bewertet. Der Rückbau von funktionierenden Strukturen und Kooperationen ist nicht nur für spezialisierte Unternehmen mit enormen Unsicherheiten verbunden. „Vor dem Hintergrund eines hohen Kostendrucks und kompetitiven Marktumfelds ist es denkbar ungünstig, vertrauensvolle und häufig jahrelang gewachsene Kooperationen aufzugeben“, bewertet Ruscheweyh diesen Lösungsansatz.

Die Diskussion über stabile Lieferketten und alternative Produktionsstandorte hat jedoch durchaus ihre Berechtigung. Unternehmen sollten die Pandemie als Weckruf verstehen und prüfen, wie sie ihre Supply Chain möglichst krisenfest gestalten können. Ein ganzheitliches SCRM kann hier maßgeblich unterstützen. „Wenngleich Lieferketten weltweit von den Corona-Einschränkungen betroffen waren, hat die Pandemie Unternehmen mit einem fehlenden SCRM besonders getroffen“, weiß Ruscheweyh.

Die Lösung könnte daher in einem Zusammenspiel aus einem fundierten SCRM und der „Glokalisierung“, also der Mischung aus globalen und lokalen Beschaffungsmärkten, liegen. „Gerade für Branchen, die von den Beeinträchtigungen besonders betroffen waren, kann eine breitere Diversifizierung sinnvoll sein“, sagt Ruscheweyh. In diesem Rahmen kann die Verlagerung von Prozessen in die geografische Nähe Risiken minimieren und zu einer resilienteren Lieferkette beitragen.

Risiken und Maßnahmen kritisch prüfen

Nicht nur die Forderungen nach einer nachhaltigen und transparenten Lieferkette erhöht den Druck, neue Prozesse zu etablieren und alternative Beschaffungsmärkte zu erschließen. Um die Lieferfähigkeit auch in Krisenzeiten sicherzustellen, ist eine diversifizierte Supply Chain ein entscheidender Wettbewerbsfaktor. Eine tiefgreifende und branchenumfassende Relokalisierung ist angesichts gewachsener globaler Strukturen jedoch nicht zu erwarten. Nicht zuletzt, da Unternehmen eine Vielzahl weiterer Maßnahmen zur Verfügung stehen, um den Nachschub an Waren oder Produktionsmitteln zu sichern: Von einer erhöhten Lagerhaltung bis hin zu Kooperationen mit Notfall-Lieferanten, bietet ein fundiertes SCRM verschiedene Hebel zur Risikosicherung.

Unternehmen sollten daher kritisch überprüfen, welche Risiken die eigene Lieferkette birgt und welche Maßnahmen vor dem Hintergrund die eigene Lieferfähigkeit sichern kann. Ein fundiertes SCRM kann Unternehmen hier maßgeblich unterstützen und schafft ideale Voraussetzungen für den langfristigen Unternehmenserfolg.

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