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Corona-Pandemie: „Es muss uns gelingen, die Krise als Chance zu verstehen“

von Claus

Hermes International, ein Geschäftsbereich von Hermes Germany, ist im Cargo- sowie Paketgeschäft auf allen Kontinenten aktiv. In der aktuellen Virus-Krise ist dies Chance und Risiko zugleich. Ein Interview mit Stephan Schiller, CEO von Hermes International (HINT), zur Logistik in Zeiten der Pandemie und dem Status quo im eigenen Unternehmen.

Zu Zeiten von Corona kommt der internationalen Logistik bei der Aufrechterhaltung von globalen Warenströmen eine besonders hohe Bedeutung zu. So wird HINT in den nächsten Tagen mehrere Tonnen Atemschutzmasken von China nach Deutschland transportieren. Gleichzeitig ist das internationale Geschäft des Logistikdienstleisters maßgeblich von den Verläufen der Pandemie und den Maßnahmen der Regierungen in den jeweiligen Ländern abhängig.

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Stephan Schiller, Geschäftsführer Hermes Europe und CEO Hermes International.

Herr Schiller, können Sie schon absehen, welche Auswirkungen die Pandemie auf Ihr Geschäft haben wird?

Für sichere Aussagen ist es definitiv noch zu früh. Besonders im Bereich Fracht bzw. Supply Chain Management spüren wir die Auswirkungen, da große Märkte im Lockdown sind und Transportkapazitäten fehlen. Diese Delle hält an und wir werden es nicht schaffen, diese Ausfälle wieder aufzuholen.

In unseren zwei größten Geschäftsbereichen, dem International Parcel (Hermes BorderGuru) und dem International Freight-Segment (Hermes SCS) zeigt sich aktuell daher ein sehr gemischtes Bild: Einerseits ist ein großes Wachstumspotential vorhanden, aber natürlich spüren wir auch die negativen Auswirkungen der Krise.

 

Können Sie uns hierfür ein konkretes Beispiel geben?

Gerne. Im abgelaufenen Geschäftsjahr haben wir die Paketmengen im Chinageschäft mehr als vervierfacht. Auch im laufenden Jahr streben wir grundsätzlich eine weitere Vervierfachung der Menge an. Durch Corona lagen die Volumina im Februar jedoch zirka 50 Prozent unter unseren Erwartungen. Ende März konnten wir das Volumen bereits wieder auf rund 60 Prozent steigern. Befürchtungen, dass aus Sorge vor Viren auf Paketen weniger aus China bestellt wird, scheinen sich nicht zu bestätigen. Im April hat die Nachfrage bereits wieder stark zugenommen und wir erreichen täglich Rekordmengen.

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Was sind derzeit die größten Herausforderungen im Hinblick auf das internationale Paketgeschäft?

Der größte Engpass ergibt sich aktuell bei den Luftfrachtkapazitäten. Passagiermaschinen, die sonst rund 50 Prozent des weltweiten Frachtaufkommens fliegen, sind kaum mehr im Einsatz.

Für den US-amerikanischen Markt testen wir daher mit neuen Auftraggebern aktuell eine neue Versandoption. Allerdings gehören die USA zu den globalen Epizentren des Corona-Virus – mit weiter steigenden Fallzahlen. Wir müssen abwarten, wie sich die Pandemie dort entwickelt, auch im Hinblick auf die Transportkapazitäten.

 

In Europa sind Sie ebenfalls mit der Paketsparte aktiv. Wie ist der Status quo hier?

Das europäische Paketgeschäft läuft analog zum nationalen Paketgeschäft relativ stabil. Herausforderungen ergeben sich an den Grenzen zu Polen, Frankreich und der Schweiz. Aber prinzipiell läuft der Güterverkehr, auch dank der neuen Sonntagsfahrerlaubnis für große LKW, gut.

Einschränkungen gibt es dennoch. So waren in Italien die Gütertransporte ausgesetzt und für Im- und Exporte aus bzw. in die Türkei verzeichnen wir steigende Preise. In einzelnen wenigen Ländern, wie zum Beispiel Malta und Zypern, können wir darüber hinaus aktuell gar nicht mehr zustellen, da diese primär mit Flugzeugen (Passage) bedient wurden. Wir hoffen, diesen Betrieb bald wieder aufnehmen zu können.

 

Kommen wir nun zum internationalen Cargogeschäft. Welche Auswirkungen durch die Pandemie sind in diesem Bereich spürbar?

Mit zunehmenden Leerfahrten im Güterverkehr sowie der dynamischen Situation an den europäischen und internationalen Grenzen sind die Auswirkungen auf das Seefrachtgeschäft ebenfalls wahrnehmbar.

Die fehlende Produktion in Asien hat darüber hinaus ein Ungleichgewicht geschaffen: Auf der einen Seite werden zwar Exporte aus Europa verstärkt nachgefragt, können aber aufgrund der mangelnden Importkapazitäten nur langsam weitertransportiert werden. Wie bereits erwähnt, ist die größte Dramatik in der Luftfracht zu verzeichnen. Das quasi Aussetzen des Passage-Betriebes hat nicht nur die Kapazitäten dramatisch verknappt und somit einen explosionsartigen Preisanstieg verursacht, sondern die Industrie wird auch nach der Krise eine andere sein.

 

Was bedeutet das in der Praxis und für Ihre Kunden?

Der Gütertransport nach und in China hat wieder an Fahrt aufgenommen. Allerdings ist an den Häfen mit einem verlangsamten Prozess bei der Abfertigung von Schiffen zu rechnen. Zu Ende März rechnete China bereits wieder mit einem Produktionslevel knapp unter Vorkrisenniveau (zirka 80 Prozent). Insgesamt weisen wir unsere Kunden und Auftraggeber darauf hin, dass bei Waren aus Asien aktuell noch mit Verspätungen zu rechnen ist.

In einigen Ländern wie Indien oder Bangladesch sind die Auswirkungen jedoch drastischer: Hier bewegt sich zurzeit gar nichts. Das zeigt uns wie wichtig das Thema Supply Chain Risk Management ist. Hier wollen wir in den kommenden Monaten einen Schwerpunkt setzen und unsere Beratungskompetenz deutlich erhöhen.

 

Was selbst viele Branchenkenner nicht wissen: Sie engagieren sich auch humanitär, in Form von Hilfslieferungen. Können Sie darauf näher eingehen?

Das stimmt. Mit unserem eigenen Lager am Frankfurter Flughafen haben wir eine gute Position, um auch für Hilfslieferungen aktiv zu sein. Zusammen mit unserem Partner SEKO haben wir bereits einige Tonnen Atemschutzmasken für einen externen Auftraggeber aus China nach Deutschland geflogen und einen Charter abgewickelt. Der Bedarf an Atemschutzmasken steigt, somit auch der Bedarf an Transportkapazität und -management.

Zudem sind wir in Gesprächen mit einigen Bundesländern, um an einer Plattform mitzuwirken, die Organisationen wie Krankenhäusern, Pflegeheimen und Arztpraxen eine direkte Bestellung beim Lieferanten ermöglicht. Dadurch soll der Preiskampf um knappes Material für den Gesundheitssektor begrenzt werden.

Gerade in der aktuellen Situation ist es uns sehr wichtig, einen Beitrag zu leisten. Diese Krise werden wir nur überstehen, wenn wir alle solidarisch an einem Strang ziehen.

 

Zuletzt ein Blick in die Zukunft: Wird die Krise langfristige Auswirkungen auf die Branche haben? Und wenn ja, wie werden diese Ihrer Meinung nach aussehen?

Ich denke, dass gerade die Luftfracht-Industrie nach der Krise eine andere sein wird. Derzeit hat die Lufthansa Group 700 von insgesamt 780 eigenen Flugzeugen stillgelegt. Nicht nur im Business-Bereich werden wir uns auf Veränderungen einstellen müssen. Eine dramatische Situation erleben wir zurzeit wie gesagt in Indien – dieses faszinierende und so ambivalente Land hat von einem auf den nächsten Tag „dicht gemacht“. Diese Entwicklung werden wir im Frachtbereich sicherlich empfindlich spüren.

Meine persönliche Einschätzung ist, dass wir mit dieser Krise den Peak der Globalisierung überschreiten. Corona wird definitiv langfristig Auswirkungen auf unsere Branche haben. Mit Nachhaltigkeitsthemen und einem engeren Blick auf Supply-Chain-Risiken wollen wir uns zukünftig zusammen mit Kunden und Partnern stark entwickeln. Insgesamt muss es uns gelingen, schnell das neue „Normal“ zu adaptieren und als Chance zu verstehen.

 

Vielen Dank für das Interview, Herr Schiller.

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